Abwarten / Wolfgang Günzel Fotografie

Lieber Wolfgang . Liebe Freunde und Gäste im süddeutschen Kunstverein ,

Bei meiner ersten Begegnung mit Wolfgang Günzel in der Städelschule als Student , war er Mitarbeiter im Gasthaus von Peter Kubelka, ein Projekt dass die ganze Hochschule für eine Woche in ein Gasthaus verwandelte. In diesem Gasthaus wurden auch die Neuankömmlinge begrüßt .
Für mich, zwischen Unsicherheit und Vorfreude auf das Kunststudium, war die Begrüßung durch Wolfgang Günzel ein Katalysator, ein Signal von aktiver , fröhlicher Neugierde und Freiheit in einer neuen Umgebung. Das Foto auf Einladungskarte entstand soweit ich weiß bei eben diesem GASTHAUS in der Küche . Die Küche , in der als die Kunst vor aller Kunst das Kochen gelehrt wurde ,mit kunsthistoricher Präzision Geschmaksentwicklungen nachgezeichnet wurden ,um einen einzigartigen Moment von Genuß in seiner ganzen , Perfektion oder besser Vollendung vorzuführen.

Mehr noch als dieses Foto die Personen porträtiert , zeigt es eine Lernsituation, die von Faszination und Konzentration geprägt ist, und vermittelt so ,22 Jahre nach seiner Aufnahme , einem Moment in dem sich ein Lebensgefühl zeigt, wie ein Geschmack oder Geruch, einzigartig aber dennoch representativ.
Der Fotografie wird oft eine Pingeligkeit anstelle dieser Perfektion nachgesagt , der Fotograf ein Perfektionist , das Foto ein Moment in dem die Welt stillsteht . Dieser Moment wurde zelebriert, nichts durfte sich bewegen die Platte erschüttern auf die das Licht fiel , das die Chemie veränderte und den Bruchteil einer Sekunde konservierte, ein Stück Welt herauslöste und hinüberrettete aus dem Vergänglichen ins Perfekte, ins Bleibende; oder wenigstens ist Zeit gewonnen, der Moment kein Moment mehr sondern sich ausdehnende Zeit .

Die „Black Box“ hat sich digital perfektioniert sie ist kein Raum, keine Gährkammer, mehr in der Chemie mit ihrer prozesshaften Trägheit auf Licht reagiert, sie ist ein unmittelbar reagierender Lichtrezeptor geworden der die konkrete Welt in ein System von Werten, in Codes übersetzt, und sofort einer imaginierten Ewigkeit zu Verfügung stellt.
Aus der technischen Möglichkeit einen Moment umzusetzen ist ein Datenfluß geworden in dem die Entscheidung an Freiheit gewinnt weil sie sich in einer viel weniger eingeschränkten Verfügbarkeit von Momenten bewegt.

Die Übersetzungen von Licht in Bilder bleibt als Faszination und handwerklicher Hintergrund lebendig in den Vordergrund tritt mehr denn je die Notwendigkeit zur Entscheidung für Situationen die wesentlich sind. Fotografieren heißt jetzt Auswählen, heißt Abwarten , eine Komposition für einen Moment zu bestimmen , die für das einstehen was die Zeit um ihn herum ausmacht.
Mit dem Titel „Abwarten“ formuliert Wolgang Günzel eine Haltung ,die bereits eine Vorstellung, oder Ahnung ,dieses Momentes in sich trägt. Abwarten verbindet die Tugend des Wartens sehr mutig mit der Gewissheit darauf, das das Ereignis kommt; es muß nur abgewartet werden.

Eine Zusammentreffen von Zielstrebigkeit, Geduld und immer wieder neu zu behauptender Gewißheit. Diese Behauptung fordert andauernde Wachheit, wenn sie eingelöst sein will, sie beunruhigt weil sie das Vertrauen vorraussetzt dass sich die wesentlichen Momente tatsächlich auf ihn zu bewegen . Gleichzeitig artikuliert sie den Willen Wolgang Günzels sich, seinen Moment, der Partizipation (in der Welt ) nicht entgehenzulassen, ihn einzufangen und sichtbarzumachen, und aus seiner Willkürlichkeit herauszunehmen .

Das ist im Hinblick auf seine Künstlerporträts ein Moment, in dem sich die Künstler in einer Situation als Wesen mit ihrem Werk verbinden , oder davon ablösen , in ihrer Selbstinzenierung als authentisch oder gefangen sichtbar werden, ein Bruchteil einer Sekunde in dem das Schauspiel gelingt , oder im Versagen einen Aspekt hinzufügt, der nicht zu Schauspielern ist, der auf seine Sichtbarmachung gewartet hat. Dabei ist es nicht eine ausschliesslich reportagehafte Intention ,oder eine sentimentale Sehnsucht nach Menschlichkeit in der Kunst, es ist vielmehr eine ungestillte Neugier , eine freche, vielleicht sogar rücksichtslose Aufmerksamkeit und Gier nach diesem Ereignis , in dem sich das Abgewartete als Unerwartets zeigt.

Diese Aufmerksamkeit bringt er auch den Arbeiten der Künstler entgegen , sie ist mit in seinen Dokumentationen , für Galerien ,Museen und Ausstellungsräume, und macht diese,- bei aller Sachlichkeit die von einer Reportage erwartet wird, -zu einem überraschenden Ereignis . (die Aufnahmen von Instalationen und Ausstellungen liegen auf den Wühltischen und können teilweise auch den portraitierten Künstlern zugeordnet werden ) 

Günzels lebendige Neugier stösst in der kleinen aber sehr starken Kunstszene in Frankfurt nicht immer auf Gegenliebe . Unbeirrt von den Legende gewordenen Attacken von Bazon Brock und Ulrich Rückriem (beide später eines besseren belehrt ), arbeitet Wolfgang Günzel in eine sehr streng konzeptuell und auffassungsgegeisselte Fotoszene und setzt ihr einen eigenen freien Blick entgegen, (der im Laufe der Jahre zum Spiegel für eine ganze Künstlergeneration wird.). Seine Sorgfalt und Verantwortung für die Kunst die er dokumentiert, hindert ihn nicht das Groteske , Witzige, ofensichtlich Schräge, mitzusehen , und in einer orginellen, aber nicht einer penetranten oder gewollten Komposition zu zeigen .

Die Fotografien zeigen Momente die ihre Zeitlinien zurückziehen durch einen Zeitraum von über 20 Jahren. Noch mehr als ein atmosphärisches Gewebe , zeigen sie die konzentrierte Interpretation eines Kunstgeschehens dessen fester Bestandteil Wolfgang Günzel längst geworden ist .

Sie vereinen sich zu einem Bild und machen ein künstlerisches Werk sichtbar. Ein Werk , das eng an einen Kontext gebunden, seine Akteure so undogmatisch spiegelt , das diese wie durch den Zusammenhang in einem allgemeingültigen Geschehen, einen Moment lang von sich selbst befreit scheinen, um sich wieder neu als Künstler zu sehen und defnieren zu können.

Thomas Nolden 8.5.2010