Mit dem Fahrrad (Thomas Nolden 2009)
Mit dem Fahrrad fuhr, -oder schwebte ich schon ?-, über die große eiserne Brücke , ein heller orangefarbener Dreiviertelmond leuchtete riesig über der Silhouette der Stadt.Mein Blick senkte sich dennoch auf die blaugrünen Strudel, die sich um die Pfeiler der Brücke bildeten, die amorphe Oberfläche der riesigen strömenden Massen.Ich rollte über die klappernden Bodenbeläge am neuen Museum vorbei auf die Granitplatte zu.Ich hielt mich fest an meinen Lenker geklammert um nicht von einer Böe erfasst, und auf die viel zu steile Freitreppe zu getragen zu werden.Denn der Sturz über diese Kante bedeutete ein schreckliches , sich über die vielen neuerlichen spitzen Kanten der Stufen hinuterzelebrierendes Stürzen auf den tiefergelegenen Bahnhofsvorplatz.So stieg ich ab, und landete vorsichtig auf dem, von den Schuhen der unzähligen Passanten spiegelglatt polierten, Granit der Domplatte.Natürlich rutschte ich aus , fing mich jedoch und meine Augen hefteten sich an die grellen im Boden versenkten Strahler, die ihr weiß-rosa- farbenes Licht in die Figuren der Eingangsportale bohrten, sie völlig sinnlosem Schattenwurf aussetzten.Der Dom schrie vor Schmerz.Niemand schien es zu hören.Behutsam schob ich das Fahrrad, jetzt im trostspendenden Gespräch mit der geliebten Kathedrale versunken. Den Blicken der wenig gewordenen Passanten wich ich aus in dem ich mich an der Linie festhielt auf der, der erhabene Sandsteinbau auf die Granitplatte stieß. Und einen endlos tiefen Schwarzen Spalt bildete.Jetzt antwortete sie mir; eine dünne Stimme, die in ihrem riesigen Körper leise nachhallte. Ich verstand sie nicht. Der Dom redete viel. Eine Kinderstimme, eine fremde doch vertraut klingende Sprache , jetzt verstand ich Fetzen; Anweisungen, Litaneien, Begriffe die mit Architektur zu tun hatten , Materialien , Zahlen , verknotet zu Gebeten , Gesängen . Wörter die Farben meinten, Blei und Glas und Linien. Holz und Stein und Stein und Stein.Immer mehr verstand ich von der Sprache die im fortschreitenden Sprechen immer erwachsener und deutlicher Klang . Jetzt verstand ich beinah jedes Wort; ein Mensch meines Alters, er sprach über seine Pläne und Krankheiten, seine Freuden und Schmerzen und die Bewegungen in seinen Fundamenten .Ich hatte mein Fahrad fallengelassen und hielt mich nun wie ein Gefangener an den Gittern die ihn und mich voneiander trennten. Der Stahl war warm und meine Finger feucht, so sehr schwitzte ich in der andauernden Hitze dieses Junitages .Er redete leiser, langsamer seine Stimme war papiernern und alt. Ich mußte mich anstrengen um ihn zu verstehen presste ich meinen Kopf zwischen die Streben des Zaunes. Er sei alt, schwach und sehr sehr krank; eine Art Steinosteoporose nur viel, viel schneller fortschreitend. Sein Geist sei zu schwach.Er könne den Sinn zwischen den Sandkörnern nicht mehr bilden. Er könne die vielen Glieder seines Körpers nicht mehr zusammenhalten . Er spüre sie nicht mehr.Sie seien taub geworden.Ich hörte Geist und Sinn und Wind und Leere.Leere sei in das Gewölbe gedrungen, ein Vakuum .Das schleichende Zebröseln verdichtet sich in ihm zu einem Moment des Zerfallsdachte ich, als mir der Dom ganz leise zuhauchte:-Puste mich um-ich erstarrte und hörte auf zu atmen . Mein Herz begann zu rasen, ich wollte zurücktreten aber mein Kopf steckte fest in den Eisengittern.Noch immer hielt ich die Luft an, der Druck zwischen meinen Ohren wurde größer; aber der Kopf steckte fest, ich konnte die Luft nicht mehr anhalten, reflexartig stieß ich sie aus meiner Lunge, die Stangen gaben mich frei und ich flog ein kleines Stück zurück, und vor mir schwebte auch die geliebte Kathedrale ein paar Zentimeter vom Boden erhoben zurück, sie taumelte, und als ich von diesem Ereignis überrascht weiter atmete zerfiel sie mit einem kaum hörbaren Seufzer zu Staub.Ich sah das Fallen.Es dauerte Jahre. Dass Gesicht jeder Figur wendete sich mir zu, bevor es lautlos in sich zusammensank , jedes Ornament verneigte sich stumm und hörte auf zu sein .Es wurde feiner weiß gelber Sand, der zu meiner Verwunderung auch warm war als ich mit den Händen hinein griff und ihn zwischen meine Fingern hindurchrieseln ließ.Das alles geschah ohne dass die Vorrübergehenden davon größere Notiz genommen hätten.Einige wenige teilweise hässlich anzusehende Menschen hatten sich in meine Nähe begeben und ein sehr unsympatischer Mann reichte mir seine fleischige Hand, an der ich mich hochzog um wieder aufrecht auf dem spiegelnden Granitboden zu stehen. Schnell griff ich nach meinem Fahrrad denn die städtischen Reinigungsmaschinen hatten schon begonnen den Sand wegzukehren und ich spürte dass ich im Wege stand.