Der Farbraum und die Zwischenzeit

 

Der Breitenholzer Maler Thomas Nolden stellt in der Tübinger Kulturhalle aus

Thomas Morawitzky

 

Die Kulturhalle Tübingen bietet dem Maler aus Breitenholz Gelegenheit, Bilder im Großformat auszustellen – solche, die lange lagerten, solche die jüngst entstanden. Mit Manfred Peckl fand sich ein alter Weggefährte ein, der die Vernissage mit einer bemerkenswerten Performance begleitete.

Thomas Nolden studierte Kunst in Köln, Frankfurt und New York. Einige der Bilder, die nun in der Tübinger Kulturhalle zu sehen sind, zeigte er bereits in den 1990er Jahren in der Frankfurter Galerie Fruchtig, geleitet von Annette Gloser. In einer Galerie also, die zu jener Zeit Bindeglied war zwischen Kunstszene und Subkultur, in der Punkbands performten während Künstler präsentierten. Manfred Peckl stellte unmittelbar vor Thomas Nolden dort aus, war natürlich auch bei Noldens Vernissage vor rund 40 Jahren zugegen.

Und Manfred Peckl ist in beiden Welten zuhause – ein Maler, Bildhauer, Musiker und Dichter, ein echter Allround-Dadaist voller Pathos und Komik – der genau dies, sehr zur Freude seines Kollegen, in Tübingen vor dessen Bildern zum Ausdruck brachte. Wer nicht dabei war, kann seinen Auftritt dennoch betrachten: vimeo.com/877271002?share=copyN. Der Mann in Schwarz geht auf die Gemälde Thomas Noldens los mit ausgebreiteten Armen, ruft sie an in unbekannten Sprachen, brüllt und bellt und murmelt und agiert so auf ungemein körperlich intuitive Weise aus, was sich im Kopf anderer Zeitgenossen möglicherweise sprachlos abspielt.

Die Verbindung von Pathos und Komik ist es, die Thomas Nolden selbst wichtig ist. Seine Bilder entstehen, heute wie damals, stets aus malerischen Überlegungen heraus: Er erkundet die Farbe, ihre Wirkung auf der Leinwand, die Räumlichkeit, die sie entstehen lässt. Ein Experimentieren, das immer wieder aber auch zu Figurationen führt, Erinnerungen an die Kunstgeschichte oder fast schon surreale Szenen in seinen Bildern auftauchen lässt.

Bei jenen Bildern, die Nolden zu Beginn der 1990er Jahre malte, sind es baumartige Gebilde, Äste, die in den Bildraum hinausgreifen, ihn strukturieren, den Blick des Betrachters durch ihn führen, die so entstanden sind. Viele Bilder sind bestimmt von einem mehr oder weniger stark gebrochenen Rotton – er strukturiert in seinen Nuancen jede Fläche, geht im Grau schließlich fast ganz auf. „Je länger man sich ein Bild anschaut“, sagt der Künstler, „desto weniger ist es Grau, desto deutlicher wird es Farbe, und desto konkreter wird der Raum.“

Dieser abstrakten Wirkung entgegen stehen die figürlichen Elemente der Bilder, die Baumstümpfe, kahlen Äste, die auf jedem von ihnen zu sehen sind, Äste, die sich manchmal wie Tentakel durchs Bild schleichen. „So ein verstümmelter Baum besitzt eben auch eine große Kraft und ist ein Bild des Schreckens“, sagt der Künstler. Dass dies aber auch ambivalent wirken kann, dass nicht nur die Farbe, auch das Pathos gebrochen erscheint, nach all den Jahren, ist die Erkenntnis, die Thomas Nolden selbst aus der Wiederbegegnung mit früheren Arbeiten gewann – und die sich in Manfred Peckls Performance erstaunlich konkretisierte.

Über mehrere Jahre hin verfolgten die Baumfigurationen Thomas Nolden in den 1990er Jahren. Die Bilder, die entstanden und die seinerzeit in der Frankfurter Galerie Fruchtig zu sehen waren, lagerten wiederum viele Jahre in einer Scheune in der Hohenlohe. Nolden holte sie hervor und versuchte, malend zu seinem damaligen Thema zurückzukehren. Seine Vorgehensweise, sein malerischer Duktus, hat sich seither sehr stark verändert, obschon das Interesse an Farbe und Raum noch immer bestimmend ist. Heute jedoch baut Thomas Nolden seine Bilder anders auf. Die jüngeren Arbeiten in der Tübinger Kulturhalle spiegeln die älteren dabei motivisch oft sehr eng. „Ich schaffe es aber nicht, diese Farbblöcke wie damals aufzubauen“ – und in jenen Gemälden aus den Jahren 2022 und 2023, die Nolden in Tübingen zeigt, ist es also vor allem die Erinnerung an einen früheren Zustand, die das Spiel auf der Leinwand bestimmt.

 

Thomas Noldens Ausstellung „Vertiefung“ ist noch bis zum 19. November in der Kulturhalle Tübingen zu sehen. Öffnungszeiten: Mi. 16-19, Fr,16-19, Sa. 11-17, So. 11-17 und nach Vereinbarung (0176 / 32811340). Am 19.11. von 19 bis 21 Uhr gibt es eine Finissage mit Barbetrieb.

Gäubote  - 13.11.2023