"Flügelschlag" Splitter zu einem Bild und seinem Titel

Im Störrischen, im Entgegenstehen der Objekte, im nicht zu Bändigenden, dem Wuchernden, dem Eigensinnigen wie die Wirbel am Hinterkopf es sind, wo man selbst nicht hinschauen kann oder höchstens ein Abbild in Spiegeln sieht , da entfaltet die Malerei von Thomas Nolden ihren Eigensinn.

Die Einzelheiten des Geästs, der Gräser und Flechten am Boden, Spiegelungen in der Luft, das Fließen des Stroms, die Untiefen, die Strudel und widerspiegelnden Wellen, alles, wirklich alles sieht man beinah gleichzeitig mit einem Blick, die malende Hand hält kaum Schritt, sie malt wie atemlos so farb- und raumgenau wie möglich alles Gleichzeitige, was vorne, oben, seitlich und unten ist und hinten in der Tiefe und was in tausend Farbnuancen im Lichts erscheint. Landschaften? Flüsse? Malflüsse? Flusslandschaften? Mallandschaften? Stakkatostriche und Strichschwärme. Fließgeschwindigkeiten interessieren ihn, sagt Thomas Nolden.

Er gibt seinen Bildern Titel. Vielleicht weil auch Worte Kunstwerke sind. Vielleicht weil Worte Bilder aufladen und Bilder die Worte. Das Verhältnis zwischen Sprache und Bildern ist nicht einfach. Spätestens seit Magrittes Bild einer Pfeife mit dem Schriftzug ceci n’est pas une pipe oder Gertrude Steins a rose iis a rose is a rose wissen wir das. TN lädt nicht nur die Leinwand (elektrisch) mit Farbe und Strichen auf, auch die Wörter und Halbsätze, die er ihnen als Titel hinzufügt, sind in ihrem Inneren mitunter aufgeladen. Sie öffnen einen weiteren Assoziationsraum.

Plain air in die Landschaft blinzeln schärft den Blick für das Wesentliche ebenso wie das Blinzeln vor einem Bild eine Art Scharfstellen ist. Unschärferelationen im Raum herstellen, Zentralperspektiven destruieren für einen „Flügelschlag“ nur... könnte sein Verfahren beim Malen sein.

Flügelschlag ist der Titel, den Thomas Nolden diesem Bild gibt. Da ist in den wuchernden Strichen eine Horizontlinie zu ahnen, es ist ein lichter Farbschatten zu sehen, vielleicht die Spiegelung der Schwingen eines Vogels, der sich gerade aus dem Bildraum hebt. Vielleicht auch nicht. Man nimmt etwas Abstand und schließt die Augen zu einem Spalt, blinzelt, um genauer zu sehen. Für einen Moment sind Fluss, Ufer und der Himmel da, im Dunkel, im Schatten und im Licht.

Flügelschlag, würden wir - wären wir Vögel oder Engel - vielleicht anstelle von Wimpernschlag sagen. Wimpernschlagbilder, Augenblicksbilder. In ihnen ist mit dem zentralen Wahrnehmungsorgan des Menschen in kaum messbaren Bruchteilen von Sekunden Gesehenes bewahrt. Das Bild aber, dem ich mich versuche zu nähern und seine Malweise insbesondere scheinen mir mit dem Titel Flügelschlag eine andere Wahrnehmungsweise nahe legen zu wollen. Ich sehe das Bild tatsächlich nicht nur mit dem Auge, nehme es vielmehr auch körperlich wahr, wie im Flug erfasst. Man spürt ein sanftes Abheben. In einem Moment aufgehoben und zugleich darin verdichtet, Moment, in dem alles zusammenkommt, vielleicht sogar alles stimmt? Und das Denken aussetzt. Oder alles auseinanderstiebt. Mit einem Flügelschlag sind wir in der Luft, im Äther, im Weltraum, im sogenannten Unwirklichen, transformiert, space ist he place... Der Titel spricht vom Malen und vom körperlichen Sehen. Und von etwas Unwillkürlichem, nicht der Absicht Unterworfenem. Das Bild tut es auch.

Das Malen meint das Malen selbst. Das malende Sehen. ...malt, wie alles gleichzeitig in einem Moment und zu jedem Wimper- und Flügelschlag stattfindet, das Schauen, die Erdumdrehung, das Eintauchen des Pinsels in die Farbe auf der Palette, das Zuschauen beim Schauen, das Erinnern, das Mischen der Farbe, das Geräusch der Bäume und die Kälte der Luft, das Geräusch des Pinsels auf derLeinwand, die leicht vibriert, das Einatmen und das Ausatmen ... auf den Schwingen der Malerei. Alles beginnt und alles macht weiter, Flügelschlag um Flügelschlag... Der Lyriker Rolf Dieter Brinkmann notiert am Eingang zu seinen Gedichten im Vorwort zu „Westwärts 1&2“:

Die Geschichtenerzähler machen weiter, die Autoindustrie macht weiter, die Arbeiter machen weiter, die Regierungen machen weiter, die Rock’n’Roll-Sänger machen weiter, die Preise machen weiter, das Papier macht weiter, die Tiere und Bäume machen weiter, Tag und Nacht macht weiter, der Mond geht auf, die Sonne geht auf, die Augen gehen zu, Türen gehen auf, der Mund geht auf, man spricht, man macht Zeichen, Zeichen an den Häuser-wänden, Zeichen auf der Straße, Zeichen in den Maschinen, die bewegt werden, Bewegungen in Zimmern, durch eine Wohnung, wenn niemand außer einem selbst da ist, Wind weht altes Zeitungs-papierüber einen leeren grauen Parkplatz, wilde Gebüsche und Gras wachsen in den liegen gelassenen Trümmergrundstücken, mitten in der Innenstadt, ein Bauzaun ist blau gestrichen, an den blauen Bauzaun ist ein Schild genagelt. Plakate ankleben verboten.(...) Auch alle Fragen machen weiter, wie alle Antworten weitermachen. Der Raum macht weiter. Ich mache die Augen auf und sehe auf ein weißes Stück Papier.

(Aus Rolf Dieter Brinkmann, Westwärts 1&2 Gedichte, Hamburg 1975, S.5/6)

Frau badet Hund

Van Dai

Hinter das Wehr schauen

Lichtung

Köln Frankfurt Köln

Unter dem Moos ein riesiger See

Flügelschlag

Das andere Ufer der Theiß

Brücke

Mond im Juni