Jeder Strich mehr kann einer zuviel sein
von Manfred Hantke
Vom Foto abmalen geht gar nicht: Der Reustener Künstler Thomas Nolden sucht für seine Arbeit die Modelle auch auf der Schafweide
Thomas Nolden kam aus den Großstädten in die Provinz. Straßenschluchten und Wohntürme ziehen ihn nicht an, lieber malt der in Reusten lebende Künstler Schafe und Flusslandschaften im impressionistischen Stil. Dabei ist er stets mitten im Geschehen.
Tübingen. Köln, Frankfurt, New York: Als Kunststudent waren Thomas Nolden die Städte nicht groß genug. Nach seiner Ausbildung zog es ihn jedoch in die Hohenlohesche Provinz. Zunächst in „ein winziges Kaff" bei Blaufelden in der Nähe von Crailsheim, seit 2001 lebt er mit Familie in Reusten, dem zweitkleinsten Ortsteil Ammerbuchs mit knapp 1000 Einwohnern.
„Es war etwas Besonderes, dem ich gerecht werden wollte", sagt Nolden. Er wollte Familie und Kunstszene kombinieren, tauschte ein mögliches „exzessives Künstlerleben“ Lärm und Hektik der Groß-und Weltstädte gegen die Idylle auf dem Land. Auch ein „verklärtes Naturbild" aus der Jugend in den 1980er Jahren wollte er überprüfen und realisieren. Die Kontakte zur Frankfurter Künstlerszene blieben bestehen.
Im „Kaff" verwaltete die Familie ein großes Grundstück, versorgte sich aus dem Gemüsegarten. Die beiden Kinder wurden geboren, seine Frau Rita Hausdörfer lernte den Hebammen-Beruf (inzwischen hat sie als Freie Hebamme 300 Kinder auf die Welt verholfen) und Nolden entdeckte im Kaff“ sein Motiv, dem er bis heute in Intervallen immer mal wieder nachspürt: das Schaf.
Während es Pferd und Rind im Impressionismus zu etwas gebracht haben, gibt es das Schaf in der modernen Malerei kaum. Das verschaffe Nolden auch gewisse Freiräume.
Seit dem Jahr 2000 malt er die Schafe in Öl. Nicht im Atelier, sondern draußen auf der Weide. Sobald er seine Staffelei aufbaut, die Farben sortiert, kommen die neugierigen Schafe heran, denken, sie bekämen etwas zu fressen. Nach der Enttäuschung ziehen sie ab, einige kommen aber nach einiger Zeit wieder; schauen ihm bei der Arbeit zu.
Vom Foto abmalen mag Nolden nicht. Einmal hat er es getan und ist „kläglich gescheitert". Das Foto ist nur zweidimensional, Raum und Leben sind weg. Das habe nichts mehr mit dem Erlebnis zu tun. Auf der Weide ist er hingegen mittendrin im Leben, und das auch im Winter. Mittendrin, das bedeutet für Nolden auch, Farbe und Raum aufeinander zu beziehen, den Raum aus den Farben entstehen zu lassen. „Das Auge kann die Farbe fühlen", sagt er, „wir orientieren uns an Farbtemperaturen, tasten mit den Augen." So wird ihm der Bildraum durch Farbe ein Erlebnis, ein assoziativer Raum, „in dem das Auge badet, ein psychologisch farbräumlicher Kosmos."
Noldens Schafe sind denn auch nicht einfach Schafe. Angelehnt an die Impressionisten geht es ihm um das freie Spiel von Farbe und Objekt-wiedergabe, um Unschärfen und Farbnuancen. Farbe gebiert das Objekt, häufig so schemenhaft, dass so manches Bild zum Suchbild wird.
Die Schafe sind aber nur „Aufhänger" für seine Arbeit, so Nolden. Neckar-, Jagst- und italienische Landschaften hat er auch gemalt, Flusslandschaften in New York und natürlich den Rhein. Der zieht ihn immer wieder an, „hat eine unglaubliche Weite, etwas Erhabenes", so der
51-Jährige, und „endlos differenzierte Grautöne." Über den Rhein hat er auch Gedichte geschrieben und vertont. Im vergangenen Jahr hat er zwei auf Vinyl pressen lassen.
Den Neckar samt der Landschaften malt er farbenfreudiger. Derzeit wendet er sich wieder den Porträts zu, alle im gleichen Mittelformat.
Große Formate nimmt er für die figurative Malerei. 1,8 mal 2,3 Meter misst sein Marienleben, zwei Jahre Arbeit stecken drin. Wann ein Bild fertig ist, entscheidet sich zwischen Figur, Raum und der Spannung. Sein Kriterium: Ich will etwas erleben. wo ich vorher noch nicht war " Jeder Strich mehr könne einer zuviel sein.
Nur drei Prozent der Künstler können von ihrer Arbeit leben, so Nolden. Davon seien jedoch die allermeisten Professoren an Kunsthochschulen. Auch Maler Nolden hat sein Auskommen: „Darauf kann man doppelt und dreifach stolz sein." Nolden, längst überregional bekannt, verkauft Bilder in Stuttgarter und Frankfurter Galerien, hat Lehraufträge in Reutlingen an der „Deckart", an der Uni Mannheim, Werkaufträge in Saarbrücken und Berlin. Seinen Lehrauftrag am Zeicheninstitut der Uni Tübingen ließ er in diesem Semester ruhen.
Schließlich will er noch drei bis vier Stunden täglich im Atelier verbringen. Derzeit bereitet er drei Ausstellungen vor, in Kiew und Stuttgart. Sie werden im September und Oktober eröffnet. Eine der beiden Stuttgarter Ausstellungen zeigt die Schafbilder, die im Reustener Bergcafé unter dem Titel „Kawasaki Bar" hingen.
Nolden hat beim international bekannten politischen Konzeptkünstler Hans Haacke studiert. Kunst und Politik müssen jedoch nicht zusammenkommen, so Nolden. Es gebe „tolle Agitationskunst", aber ein direkter tagespolitischer Bezug sei nicht nötig. Bei der Kunst gehe es auch um die Haltung zur Welt. Anstatt sich durch das Handy ständig überwachen zu lassen, könne der Nutzer es auch mal ausschalten, sich auf die Wiese setzen. Das sei Lebensqualität.
Apropos Lebensqualität: Tübingens öffentlicher Raum ist kunstarm, so Nolden. Da könne mehr getan werden, etwa Initiativen und Projekte fördern. Das müsse nichts Spektakuläres sein, sondern etwas Besonderes. So ein bandagierter Birnbaum etwa, wie er am Zinser-Eck steht, sei doch „total super".
Gast der Woche 2.Juli 2016
Schwäbisches Tagblatt Gast der Woche