Malerei als Erlebnis - Farbe als Faktum von Hansjörg Fröhlich 2022

Text Nolden

Malerei als Erlebnis - Farbe als Faktum

Zunächst sind da aufgeschichtete Ebenen. Stark rhythmisierte Farbstriche ergeben eine noch offene Struktur. Das Bild setzt sich vor unseren Augen zusammen, es entsteht durch und mit uns. Schon sind Landschaften zu erkennen, ein Horizont, eventuell eine Spiegelung auf Wasser, Bäume und Vögel. Die Inhalte bleiben vage, doch der Raum ist präsent, klar und lebhaft. „Egal wie abstrakt die Bilder sind, es muss ein geschlossen erlebbarer Raum entstehen“, sagt der Ammerbucher Maler Thomas Nolden. Dieser Raum wächst aus der Tiefe des Bilds, da wo etliche Schichten verschiedener Farbtöne eine Transparenz bilden. Blau gegen Gelb gegen Grün. Die komplementären Kontraste bestellen das Feld. „Das ist die Erfahrung des Landschaftsmalers.“ Nolden malt seit dem Jahr 2000 wieder im Freien. Farbwirkung entsteht in seinen mittel- bis großformatigen Gemälden durch „Aufbrechen“: „So muss z.B. das Grün durch andere starke Farbcharakter gebrochen und auf diese Weise aus dem „vertrauten“ in einen neuen existenziellen Zustand übergeführt werden“. Das Farberlebnis ist der Zugang zu seinen Bildern, diese Farbräume dirigieren unser inhaltliches Empfinden, mal gelangen wir in einen Garten, mal in eine Flusslandschaft. Noldens Arbeiten sind sehr offen angelegte Erlebnisräume. Schon kleinste Hinzufügungen ändern komplett den Gesamteindruck: Ein paar wenige ergänzende V-förmige Striche, und schon sehen wir einen von Vögeln bevölkerten Himmel, wo vorher noch ein stiller Teich war. „Oft lasse ich fast fertige Leinwände für drei Monate stehen. Sie sind dann „offen“. Erst dann schließe ich sie mit letzten Ergänzungen ab.“

Noldens Spiel mit der Faktizität, sein so nüchterner wie virtuoser Umgang mit dem Vagen, sowie die Präzision die er dabei erzielt, sind eindrucksvoll. Insbesondere beeindruckt, wie der Maler mögliche(KURSIV) Handlungsstränge und Bildaussagen anlegt und dennoch völlig ungeschminkt und gänzlich frei von Paternalismus malt. Für Nolden sind seine Gemälde nicht seine Kinder, nein, sie sind seine fernen Ahnen. Wann erlebt man es schon noch, einem Kunstwerk gegenüberzustehen, das einen nicht korrumpiert, nicht prospektiv vereinnahmt? Alles was hier zu sehen ist, ist älter als wir. Älter als der Künstler, vielleicht älter als die Farbe als Wahnnehmungsoption. Die tief in der Leinwand ruhenden Knochen sind bleich und weiß, doch die Epidermis ist schillernd, prächtig und lebendig. Alles was wir hier sehen, ist alles was es zu sehen gibt! Seine Tableaus schöpfen aus sich selbst und zeigen dabei all ihre Elemente ohne Scheu, geben also gerne preis, wie es zu dem kommt, was zu sehen ist, das Woher und das Wohin. Grundehrliche, ja, aufrichtige Malerei ist das. Weil das Wort so wüst missbraucht worden ist, wollen wir angesichts Noldens Arbeiten nicht von Wahrhaftigkeit sprechen, wir einigen uns auf Plausibilität. Was aus Noldens Atelier kommt ist plausibler als alles, was wir heute, gestern und morgen auf Titelseiten, Werbeplakaten oder Phönix-TV erfahren haben. Der Mann ist real, weil seine Kunst axiomatisch ist, erkenntnisfördernd, Gewissheit schöpfend. Endlich mal einer, der nach Lage der Dinge malt.

Hansjörg Fröhlich