FANTOMAS NOLDEN // Thaddäus Hüppi

(nicht der Gangster - der Verwandlungskünstler!)

Es gibt den Landschaftsmaler, den Portraitmaler, den Tiermaler, den Ateliermaler Thomas und den Dichter Nolden.

DER LANDSCHAFTS-/PORTRAIT-/TIERMALER

Das Malen vor dem Motiv, ob Portrait oder Schaf, das ist das Konkrete, das Gegenüber anpacken und das Gegenwärtige zu erfassen suchen. Wer einmal, wie ich, neben Thomas im Freien an der Staffelei gemalt hat, weiß, mit wem er es zu tun hat. Es waren Arbeitsaufenthalte auf der österreichischen Alm. Wir beide standen mit Staffeleien vor der Almhütte. Eine Kuhherde trieb hinunter.
Hinter uns eine Gruppe Leute, die den Künstlern bei der Arbeit zusahen. Erwartungsgemäß hielt das Viehzeug bei diesem Almabtrieb nicht still. Thomas jedoch konnte mit einer Schnelligkeit und Konzentration diese Kühe mit seinen Pinseln und Ölfarben auf die Leinwand bannen - es war unfassbar.

Ich konnte in dem Durcheinander nicht einmal die Euterzahl der Kühe richtig zählen. Frustriert ließ ich den Meister des Pleinairportraits vor seinen Kühen alleine, verkrümelte mich mit meinem angefangenen Wolperdingerbild ins Atelier – und malte heimlich daran weiter. Thomas führte mit größter Begeisterung und Freude vor den Kühen und unbeirrt unserer Bewunderer die virtuosen Studien fort. Es geht ihm bei diesen „Naturbildern“ um das freie Spiel von Farbe und Gegenstandsabbildung, oder wie er formuliert: “einen Moment ganz großer normaler Freude“.

Thomas hat mittlerweile eine große Anzahl solcher Portraits geschaffen.
Eine Zeitlang waren es Menschen. Seit längerem liegt das Hauptaugenmerk bei seinen vertrauten (eigenen) Schafen. Um die Bilder zu verstehen, sollte man eine große Anzahl sehen. Das „Serielle“ daran verleiht den Gemälden eine ungeheure Wucht. Später entdeckt man dann auch die Raffinesse des einzelnen Bildes. Um aber den Ansatz zu verstehen, braucht es die Menge, die Herde. Das Diffuse, Verwackelte, die eigenartigen Blickwinkel und Verrenkungen der Tiere, die mit heftigem Duktus hingeworfene Farbe auf der Leinwand. Hier entsteht eine große Spannung.

Da kommt die moderne Malerei und keiner merkt es.
Die verrissene Photographie nimmt Einfluss, die plötzlich zur Kunst wird, die ruckligen Handyaufnahmen, die die ausweglos aufgeladene Atmosphäre der tödlichen Loveparade vermitteln konnten.

Thomas schafft ebenfalls Atmosphäre und er getraut sich als Maler, Unschärfen einzubauen. Dies hat seit Lovis Corinth keiner mehr gewagt. (Vermutlich weil jeder von Corinths Schlaganfall als Hintergrund dieser Maltechnik wusste.) Thomas traut sich was, das hat er schon immer. Ihm gelingt es, den Betrachter seiner Bilder und auch seiner Motive, in einen neuen Blickwinkel zu bringen… (Aha, nun sehe ich Schafe anders!)  Nolden sagt dazu: "Malerei ist ein offenes System das versucht ein Überlegenes, im tiefsten Wesen immer Fremdbleibendes, Lebendiges zu spiegeln“.

DER ATELIERMALER

Thomas malt aber nicht nur „nach der Natur“, er ist auch ein Ateliermaler. Die Bilder im Atelier entwickeln sich aus der Suche nach der Einsamkeit. Es ist das Zwiegespräch des Malers mit sich selbst. Aber was ist der Kern dieser Einsamkeitssuche, ja Einsamkeitssucht, die gerade Künstler regelmäßig befällt? Es sind Verdoppelungstechniken, die eine Strategie der Selbstwahrnehmung bilden. Wer die Verlassenheit vor dem Bild einmal erlebt hat, kann darüber eine andere, differenziertere Beziehung zu sich selbst aufbauen. Wird diese Hürde übersprungen, findet sich die eigene Seele und damit der Weg zum Bild.

So sehe ich Thomas im Atelier, der das imaginierte Bild und sich selbst bespricht. Um es mit Montaigne zu sagen: „Du brauchst, wenn allein, nur dir selbst Volk zu sein.“

In den 90ern reiste er mit einem Konvolut intensiver, durchgearbeiteter Wachsbilder durch die Welt. Er präsentierte ausgesuchten Menschen sein Geheimnis aus den letzten Ateliermonaten. Sein Freund Wolfgang Günzel begleitete ihn und fotografierte die einzelnen Haltestellen. In einem Buch, das die beiden herausbrachten, kann man ganz fein feststellen, wie „entgeistert“ die Allgemeinheit auf solch intensive Malereien reagiert. Es ist die Verlassenheit des Malers, die sich dem Betrachter erschließt. Es wird gerochen, berührt, gelächelt und geglotzt. Auf dieser Reise wirkten die Bilder offenbar nicht als Bild, sondern als Geister aus einer fernen Welt. 

Thomas Nolden über seine Arbeit: „Wie nach einem tiefen Schlaf blickt der Betrachter dieser Bilder in eine Welt, die sich vor dem Einschlafen ganz anders manifestiert hatte, eine fragmentarische Wiedergabe aus der sich Landschaft, Bäume, Berghänge und Schafe bilden.“

DICHTER NOLDEN

Thomas ist rastlos: Neben seinen täglichen Verpflichtungen als Vater malt er nicht nur im Atelier und an der frischen Luft, sondern unterweist auch noch zwecks Broterwerbs kunstambitionierte Laien. Und dann, in den Pausen – vielleicht an dunklen Wintertagen – kommen seine kräftigen Gedichte zur Welt . Schön wie hier die Worte genutzt und gedreht werden, um zum Schluss persönliches Erleben, erleiden und genaue Beobachtung in einer Art unromantischer Poesie auf den Punkt zu bringen. So z.B. in seinem "Pilzgedicht": “Sie sind die Fruchtkörper unterirdisch rasenden Wachstums“.   Oder wie hier - und damit überlasse ich am Ende dieses Textes, lieber Thomas, dir das Wort – in meinem Lieblingsgedicht:

Der Osterglockenknicker
Glockt die Oster voller Blüte.
saugemein mit Plastiktüte, kommt der Knicker.
Stengelsteif voll Lebenssaft,
Heimtückisch abgeknickt, knackt  rafft
Oster er und Glocke hin. (Trübeausdenaugenblicker)
Zerbricht sie nicht, so zerrt der Brecher
Osterhals und würgt den Glock.
Erlischt ihr Licht nicht,
hält sie fest mit Wurzelwerk den Blütenbecher
reißt umso wilder – Glockenschock-
Der Osterglockentöter die Unterirdische mit aus.
Prallglockenvoll die Plastiktasche
stapft der Knicker spät nach Haus.