Tag des Bildes
Zur Malerei von Thomas Nolden von Angelica Horn, 2008
Die Kunst zeigt nichts ungeschützt. Deshalb kann sie direkt und unmittelbar zeigen, was sonst verborgen bliebe. Im künstlerischen Bild ist die Wahrheit und die Wahrheit des jeweiligen Bildes nicht verborgen – sie liegt vielmehr offen zu Tage. Sie ist im Material, das sie ausdrückt und auf das sie verweist – sie ist dort, wo sie zu Tage tritt.
Die Kunst kann nichts ungeschützt zur Verfügung stellen. Jeder Versuch, Wahrheit verfügbar zu machen, schafft Lüge. Wahrheit ist im Bild, und sie fällt nicht aus diesem heraus. Ohne Schutz ist Wahrheit nicht zu ertragen. Das ist, wie wir nicht die Sonne schauen können, ohne Schäden am Auge zu erleiden. „Sie tritt hervor! – und leider schon geblendet,/ Kehr ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.“ Der Künstler weiß von dem Moment, in dem die Wahrheit hervortritt, und er sich abwendet – weil sein Bild fertig ist.
Mehr noch als die Sonne vermag die Kunst - und ich denke hier vor allem an die Malerei - die Dunkelheit zu zeigen. Die Finsternis ist nicht zu fassen. Der Mensch ist fassungslos angesichts der Finsternis, jedoch: Die Kunst kann Finsternis antizipieren – jene Dunkelheit, die durch Ereignisse des Lichtes erfüllt und strukturiert als Raum und Materie zu sehen ist, ohne jemals etwas von ihrem Geheimnis preiszugeben. In neueren Arbeiten von Thomas Nolden hat er sich dieser Problematik unter anderem dadurch gestellt, daß er den Blitz zum Sujet großformatiger Bilder machte. Der Blitz tritt ein. Der Blitz ist als Naturereignis etwas, was wir kaum, was wir nur im Prozeß eines Momentes, sehen können. Der Blitz ist kein Ding.
„Am nächsten kommt dem Kunstwerk als Erscheinung die apparition, die Himmelserscheinung.“ Adorno erwähnt als Beispiel das Feuerwerk. Thomas Nolden hält sich an das Naturschöne oder Naturschreckliche - wie den Blitz, der für einen Augenblick, für einen Moment unter Umständen die Nacht erhellt und einen bleibenden Eindruck hinterläßt – kaum, daß er gesehen werden konnte.
Sehen wir nicht ein künstlerisches Bild wie in einem solchen schlagartigen Augenblick, der alles enthält, alles antizipiert? Gibt es da Furcht, sich in das Bild und das Wesen der Welt hineinzubegeben? Thomas Nolden möchte, wie er sagt, den Betrachter in den Raum hineinstoßen.
Was der Blitz erzeugt, ist schlagartig einen Raum. Thomas Nolden erkundet seit langem den Bildraum. Da streckten sich früher Berge in das Bild, jetzt in der Ausstellung sehen wir tasten Äste sich in das, was ihr Raum sein könnte und zugleich ist, und zeigen, daß es auch um vereinsamte Äste herum große, eigene Räume gibt - und dann gibt es da strichhafte Bewegungen, Fragmente geometrischer Formen, die als bloße Veräußerlichungen und Außenseiten des Bildes gesehen werden könnten, wenn der Betrachter Furcht vor dem Raum hat, den sie freistellen und freigeben, einen Raum, in dem heimisch zu sein nur dem Auge möglich ist und der das Herzen mit Bangigkeit oder Freude erfüllen mag. Wir stehen vor einem Bild. Wenn wir Glück haben, sind wir alleine mit ihm. Wenn wir noch mehr Glück haben, haben wir einen Tag des Bildes und sind in der Lage zu erfahren, was es uns zeigt. Und wir sehen die Bewegungen der Räume in sich.
Es gibt kostbare Räume in den Gemälden von Thomas Nolden, die an den Raum erinnern, der allem unendlich einen Ort gibt, und selbst unbestimmt und unbestimmbar ist, vielleicht noch als Materie benennbar, dort, wo sich die Struktur in schwarzer Ferne zurückzuziehen scheint und sich zugleich dem Betrachter als farbig geformter, in sich bewegter Raum entgegendrängt - auf finsterem unsichtbaren Untergrund Landschaft aus Farbe ins Sichtbare führt.
Hatte Adrian Ludwig Richter in seinem „Gewitter am Monte Serone bei Olevano im Sabinergebirge“ von 1830, das im Frankfurter Städel-Museum hängt, noch am konkreten Landschaftsbild demonstriert, wie der Blitz als malerisches Bildkonstituenz, alles, was malerisch-farbig in diesem Kunstwerk geschieht, aufschließt und erzeugt, so daß die Erzählung des Unwetters zu einer Art Außenseite des Bildes wird, so erobert Thomas Nolden die Spannung zwischen dem Blick des Künstlers und dem Blick des Betrachters aus der Struktur der Farbe allein. Was beiden gemein ist: Der Blitz ist der Schlüssel zum Bildaufbau: Er gibt den Blick des Malers hin zur Landschaft frei. Der Blitz ist der Blick des Malers, der den finsteren Himmel eröffnet und Räume schafft. Der Blitz, den der Himmel eröffnet, konstruiert das Material – und der Blick des Betrachters das Geschehen, in welchem er Zukunft sehen kann.
Die Landschaft ist kein offener Raum, sondern geformter Ort. Der Raum ist die andere Seite des Ortes. Tendiert der Raum zum Unheimlichen, so der Ort zum Heimlichen, zu den Gefilden, in denen der Mensch lebt und zu Hause ist. So gibt es große Leinwände von Thomas Nolden, die sich, wenn auch ohne direkte Gegenständlichkeit, dem
Landschaftlichen mehr als jenem unbekannten blitzartig erhellten Raum der unendlichen Dunkelheit zuneigen. Der Verweis führt in beide Richtungen. Und so führt er auch hin zu den gemalten Orten und Landschaften, dorthin, wo auf kleineren Gründen sichtbare Natur gegenwärtig ist – Schafe, zum Beispiel - an ihrem Ort, an einem Ort, schnell und kurzfristig gemalt, wie der Blitz – denn auch ein Schaf verharrt nicht lange auf einem Platz. Die Natur wechselt.
Der Betrachter kann wiederkehren. Kann seinen Tag, seinen Ort, seinen Blick wagen. Wir können nicht wissen: Sind wir je im Ort oder am Raum - ist die Welt hinter diesen Bildern oder in ihnen? Es geht hier um Uneinlösbares: So, wie Bilder nur sein können. Bilder sind nicht verfügbar, kein Pfand für eine bessere Welt.
1 Johann Wolfgang Goethe, Faust II, Anmutige Gegend. 2 Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1970, S. 125.