Wiesenbilder mit Schafen
Schafe zu malen ist unzeitgemäß. Schafe sind ein Motiv des 19., nicht des 21. Jahrhunderts. Auch im 20. Jahrhundert gab es nur wenige Künstler, die sich für Schafe interessierten. Nach dem 1. Weltkrieg verschwindet das Motiv aus der modernen Malerei.
Im 19. Jahrhundert belebten Schafe viele Landschaftsgemälde und trugen in romantischen Szenen zum Eindruck eines harmonischen Verhältnisses von Mensch und Tier bei. Populär ist der Schäfer, der seine Herde hütet und sicher durch alle Wetter führt. Meist erfassten die Maler die Schafe dabei als Tiere einer Herde, das einzelne Schaf blieb ohne Interesse. Schon gar nicht erlangte das gemeine Schaf symbolische Bedeutung wie das Pferd oder der Löwe. Das Schaf taugte auch nicht zum Haustier wie der Hund und wurde auch nicht zum Streicheltier wie die Katze. Lediglich das Lamm behielt seine aus der christlichen Tradition stammende Bedeutung als Symbol für Opfer und Unschuld. Das erwachsene Schafe hingegen blieb das anonyme Nutztier.
Die impressionistischen Freiluftmaler malten es in der Gruppe und schätzten es wegen seiner Fähigkeit still zu stehen. Thomas Nolden malt heute noch Schafe, auch einzelne. Er malt sie zeitgemäß in einer offenen Malweise mit sichtbarem Pinselduktus, der erkennen läßt, daß wir es mit einem Gemälde, also einer malerischen, nicht einer fotografischen Darstellung zu tun haben. So wird das Motiv nicht über die Malerei gestellt, das „wie“ bleibt wichtiger als das „was“.
Die Gemälde entstanden im November/Dezember 2000 und im Frühjahr 2003 auf einer Wiese in Raboldshausen bei Blaufelden in Hohenlohe. Nolden stand mit seiner Staffelei mitten auf der Wiese; dort befanden sich auch die Schafe. Anfangs aus sicherer Entfernung, später in unmittelbarer Nähe verfolgten die Tiere sein Tun. Mit bewegtem Pinselstrich schaffte er es, die Neugier wie auch die Scheu der Schafe zu veranschaulichen. Er erfaßte ihre Annäherungen wie ihren Rückzug. Nur für Augenblicke scheinen sie aus dem Grün der Wiesen und aus der regennassen Luft aufzutauchen, um gleich darauf wieder in dem dunstigen Grün des Hintergrunds zu verschwinden. Um einen möglichst lebendigen Eindruck zu erreichen, begann Thomas Nolden ohne Vorzeichnung auf die Leinwand zu malen; so entdeckte er die Tiere immer wieder neu.
Interessanterweise sind sie alle entweder angeschnitten oder schemenhaft wiedergegeben, unabhängig davon, ob sie räumlich nah oder fern zu ihm standen. Diese Darstellungsweise verkürzt den Moment ihrer Anwesenheit im Bild und läßt für uns Betrachter den Anschein von Flüchtigkeit und Bewegung entstehen.
In einem weiteren Aspekt sind Thomas Noldens Gemälde zeitgemäß. Der Maler vermeidet es, die Tiere zu anthropomorphisieren. Viele Künstler vor ihm haben sie mit menschlichen Zügen ausgestattet und das Naturhafte der Tiere entfernt. Es ist malerisch etwas sehr kompliziertes, die Tiere als nicht-menschliche Wesen erscheinen zu lassen. Bereits das längere Betrachten des gemalten Auges oder der Schnauze eines Tieres verführt zur Übertragung menschlicher Gefühle. Die Tiere erscheinen uns dann traurig oder freudig, sie scheinen zu lächeln oder ängstlich zu sein. Dem setzen die offene Malweise Thomas Noldens wie auch der enge Bildausschnitt einen Widerstand entgegen. Man könnte sagen, Thomas Nolden malt Wiesenbilder mit Schafen oder auch, er malt Wetterbilder mit Schafen. Seine Grün- und Grautonigkeit verbindet die feuchte Luft, die Wiese und das Fell fast übergangslos.
Nolden baut seine Gemälde ganz aus der Farbe heraus auf und arbeitet mit dem sichtbaren Pinselduktus; er grenzt die Formen nicht zeichnerisch voneinander ab. Zwischen Gras, Luft und dem Fell gibt es keine stofflichen Unterschiede. Trotzdem bleibt die Eigenart der Tiere spürbar; der Maler vermittelt eine Vorstellung von ihrem Temperament, ohne auf physiognomische Besonderheiten einzugehen. „Carlotta“ bewegt sich anders als “Tamara”, ihr Fell scheint anders gedunkelt als das ihrer Artgenossin. Hat man eines der beiden Schafe einmal ausgemacht, erkennt man es in anderen Gemälden wieder. Man kann die Tiere – darauf verweisen die Titel der Bilder – beim Namen nennen, ohne sie dadurch zu vermenschlichen.
Der Preis für diese in der Tradition der nach-impressionistischen Malerei stehende Bildauffassung ist ihre Ortlosigkeit. Ob sich die Wiese mit Schafen in Hohenlohe befindet oder in Oberschwaben ist für den Betrachter nicht auszumachen. Auch wenn der Künstler selbst sich dort sehr zu Hause fühlt, verraten seine Bilder fast nichts von ihrer regionalen Herkunft. Denn für seine Bildwirkung braucht Thomas Nolden nicht das Beständige eines Ortes, sondern das Momenthafte. Er beobachtet Schafe und findet ein lebendiges Bild der Natur.
Dr. Uwe Degreif, Braith-Mali-Museum